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Fünf Jahre nachsynodales Schreiben „Amoris laetitia“:

„Paare und Familien auf neue Art ins Zentrum kirchlichen Handelns rücken“

Die Bundesdelegiertenversammlung des Familienbundes der Katholiken hat am 3. April 2022 folgenden Beschluss gefasst:

Fünf Jahre ist es her, dass Papst Franziskus das Apostolische Schreiben „Amoris laetitia – Über die Liebe in der Familie“ herausgegeben hat. Um das Schreiben in Erinnerung zu rufen und zu vertiefen, hat er ein Aktionsjahr für Familien ausgerufen. Es begann am 19. März 2021 und endet mit dem Weltfamilientreffen vom 22. bis 26. Juni 2022 in Rom.

Der Papst will damit einen Anstoß geben, den mit der Veröffentlichung des Schreibens begonnenen Weg fortzusetzen und „in Bezug auf die Realität der Familie zu einem neuen pastoralen Ansatz zu ermutigen.“[1] Dabei reicht es nicht aus, so Franziskus, „die Gültigkeit und Bedeutung der Lehre zu wiederholen“. Vielmehr gehe es darum, „das Evangelium (zu) verkünden, indem man Menschen begleitet und sich in den Dienst ihres Glücks stellt“.[2]

Ein neuer Pastoralstil

Mit dem nachsynodalen Schreiben „Amoris laetitia“ hat Franziskus einen grundlegenden Stilwechsel für die Paar- und Familienpastoral initiiert – eine pastorale Umkehr der Kirche gegenüber Paaren und Familien, die von einer grundlegenden Anerkennung aller Lebensformen ausgeht, die die darin gelebten Werthaltungen würdigt und diese pastoral einladend fördert.

Konkret bedeutet dies:

  • Menschen in all ihren Paar- und Familienkonstellationen willkommen heißen
  • ihre Situation – gerade auch in schwierigen Lagen – unvoreingenommen wahrnehmen
  • sie am Leben der Kirche teilhaben lassen
  • und sie bestärken, sich als Teil der Kirche zu verstehen.

Eine solche Haltung des Willkommen-Heißens ist zugleich anspruchsvoll und missionarisch. Sie verlangt, die eigene Komfortzone zu verlassen. Sie ruft dazu auf, alte Verhaltensmuster abzulegen, die darauf aus sind, Paare und Familien zu idealisieren, sie für die Sozialisierung in den kirchlichen Pastoralbetrieb zu rekrutieren oder zu vereinnahmen oder sich respektlos in ihren inneren Raum verantworteter Sexualität und Elternschaft einzumischen. Sie verlangt eine Offenheit für die Bedürfnisse und Erwartungen der Menschen und ist bereit, das Zeugnis des Glaubens als lebens- und sinnstiftende Ressource anzubieten - respektvoll, achtsam und solidarisch. Dies hat zu geschehen auf der Grundlage der Anerkennung der Autonomie sowie der Glaubens- und Gewissensfreiheit von Paaren und Familien.

Der Familienbund der Katholiken fordert die Verantwortlichen auf allen Ebenen der Pastoral auf, strukturelle, finanzielle und personelle Rahmenbedingungen zu schaffen die notwendig sind, um diesen neuen Pastoralstil umzusetzen. Der Familienbund der Katholiken würdigt die Bemühungen aller, die sich schon jetzt auf diesen Weg gemacht haben.

Ein Entwicklungsraum für die Liebe

Der von „Amoris laetitia“ inspirierte „neue Pastoralstil“ öffnet den Horizont für eine weitreichende Würdigung, Akzeptanz und lernoffene Begleitung von Paaren und Familien bezogen auf sämtliche Formen partnerschaftlich orientierten Liebens und Familie-seins. Nicht die Form ist entscheidend, in der Menschen leben, sondern allein die Entwicklungsmöglichkeit für Beziehungen,  in denen Liebe, Treue und Verlässlichkeit wachsen können. Darauf zielt die von Franziskus für alles pastorale Handeln nahegelegte Schrittfolge:

  • differenziertes, sensibles und aktiv hörendes Wahrnehmen
  • engagiertes nahes Begleiten
  • Situativ angemessenes gewissengetragenes Unterscheiden und Entscheiden
  • niemanden ausgrenzen, sondern alle umfassend einbeziehen und integrieren.

Der Familienbund der Katholiken fordert die Verantwortlichen auf allen Ebenen der Pastoral dazu auf, die zur Förderung von Paarbeziehungen und von Beziehungsfähigkeit notwendigen Seelsorge-Kompetenzen zu beschreiben und diese im Rahmen von Aus-, Fort- und Weiterbildungen zu entwickeln.

Paare und Familien sind Erneuerungsorte für die Kirche

Paare und Familien werden dabei als Subjekte der Pastoral ernstgenommen und nicht etwa als zu belehrende Objekte betrachtet. Denn Paare und Familien sind selbst Keimzellen der Kirche, in denen religiöse Orientierung angeregt wird und wachsen kann. Im Alltag von Paaren und Familien stellen sich religiös-spirituelle Fragen. Und es werden Antworten auf diese Fragen gesucht und gefunden – im Gelingen wie im Scheitern, in Liebe und Nähe ebenso wie im Schweigen oder im Streit, in Treue und Versöhnung , aber auch in Untreue und Enttäuschung. An dieser Stelle das Evangelium als inspirierenden, kritisierenden, motivierenden, zu Wachstum und Entwicklung anregenden Kontext einzuspeisen, erfordert eine (neue) Qualität seelsorgerischen Handelns, die dem neuen pastoralen Stil entspricht.

Wenn dies gelingt, kann aus einer erneuerten Paar- und Familienpastoral eine Umkehrbewegung der ganzen Kirche erwachsen. „Es geht um die Umkehr von einer Haltung des Bewertens, Verzweckens und Kontrollierens zu einer Haltung der Annahme, des ehrlichen Interesses, der ganzheitlichen Unterstützung, der solidarischen Hoffnung und der Dankbarkeit.“[3] Zu einer solchen kirchlichen Umkehrbewegung gehört es schließlich, „dass die Kirche selbst … von Paaren und Familien lernt und erfährt, welche bislang noch nicht erkannten Lebens- und Hoffnungskräfte im Evangelium verborgen sind. Nicht mehr die Kirche belehrt die Menschen, sondern die Menschen in ihren Paarbeziehungen und Familien zeigen als eigene Form von Kirche, was das Evangelium heute für uns alle bedeuten kann.“[4]

Der Familienbund der Katholiken ermutigt alle kirchlich Engagierten, diesen Umkehrprozess wirklich innerlich zu vollziehen – im Denken, Fühlen und Handeln.

Ehe als Sakrament – inklusiv gedacht

Die pastorale Ausrichtung auf die Würdigung und nichtbewertende Begleitung ausnahmslos aller Paar- und Familienkonstellationen geht dabei nicht auf Kosten der Wertschätzung der klassischen sakramentalen Ehe. Dies wird in der Diskussion um eine mögliche Segnung homosexueller Beziehungen immer wieder ins Spiel gebracht.  „Wo Menschen in Liebe zueinander stehen, ist Gott anwesend. Das bezeugen christliche Eheleute in besonderer Weise, indem sie sich das Sakrament der Ehe spenden. Sie wissen sich getragen von der unverbrüchlichen Liebe Gottes.“[5] Hier wird ein inklusives Verständnis des Ehesakraments eingeführt, das nicht als höchster und bester Maßstab für die Bewertung oder gar Abwertung anderer Formen des Liebens dient, sondern als Verdeutlichung und Verdichtung einer möglichen Gemeinschaft und Nähe Gottes. Gottes freilassende Liebe ist in allen von personaler Liebe getragenen Beziehungen anwesend – im Sakrament der Ehe nicht quantitativ mehr als in anderen Beziehungen. Vielmehr bezeugt das Sakrament der Ehe eine Wirklichkeit, zu der alle Menschen in ihrem Leben und in ihren Beziehungen gerufen sind. Ein solches Verständnis schließt nicht aus und kennzeichnet nicht in erster Linie die Unterschiede in der gegenseitigen Bezogenheit von Leben, Lieben und Glauben. Insofern ist es anschlussfähig an den von „Amoris laetitia“ inspirierten und weiter zu entwickelnden pastoralen Stil des Willkommens und Gutheißens.

Der Familienbund der Katholiken lädt dazu ein, die Dynamik und Prozesshaftigkeit von Paargeschichten neu verstehen zu lernen und daraufhin die kirchlichen Angebote einer rituellen  Begleitung zu differenzieren.

  • Die sakramentale Eheschließung ist neu zu profilieren als ein Berufungsweg, als eine bewusste Entscheidung der Eheleute, in ihrer Ehe die Liebe Gottes zu seiner Kirche darzustellen, gegenwärtig werden zu lassen und zu verkündigen. Der Familienbund der Katholiken hat in seinem Beschluss „Unterstützung von Beziehungen in Gesellschaft, Staat und Kirche“ genau darauf hingewiesen und gefordert, die spirituelle Dimension der Ehe/des Ehesakraments von Mann und Frau stärker zu betonen und vor allem Wege aufzuzeigen, was dies bedeutet und wie dies gelebt werden kann. Ein solcher Weg ist aus unserer Sicht nur dann fruchtbar, wenn er nicht nur theologisch dogmatisch eingefordert, sondern in konkretem zeichenhaften, bezeugenden Handeln von Eheleuten „behauptet“ wird.
  • Segnungsfeiern für Paare, die sich lieben, sind vielfach geübte Praxis. Sie sind als kirchliches Angebot neu zu profilieren, das den Segen Gottes zuspricht, der die Beziehung schützt, trägt und begleitet. Die Kirche anerkennt diese Gemeinschaft als eine vor Gott verbindliche partnerschaftliche Lebensform. Eine solche Praxis kommt dem Bedürfnis von Paaren entgegen, die ein bestärkendes Segnungsritual wünschen, die aber die mit einem Sakrament verbundenen Inhalte und vor allem die bewusste Glaubensentscheidung als Voraussetzung für die Gültigkeit nicht mitvollziehen können oder wollen.
  • Segnungsfeiern für geschieden wiederverheiratete, gleichgeschlechtliche und queere Paare sollen aus Sicht des Familienbundes der Katholiken akzeptierte Praxis kirchlicher Pastoral werden.

Beschlossen auf der Bundesdelegiertenversammlung des Familienbundes der Katholiken am 03.04.2022 in Köln

[1] Papst Franziskus, Botschaft an die Teilnehmer am Online Kongress zur Eröffnung des „Jahres der Familie Amoris Laetitia“ vom 19. März 2021.

[2] Ebd. (Kursiv durch die Verfasser)

[3] Paare und Familien: Kirche und Pastoral betreten „Heiligen Boden“. Pastorale Orientierungen. Bistum Basel und Bistum St. Gallen; Edition SPI, S. 28.

[4] Ebd., S. 28-29.

[5] Familienbund der Katholiken, Unterstützung von Beziehungen in Gesellschaft, Staat und Kirche. Positionspapier, Berlin 2019.

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