1. Verbindlich, menschlich, wertvoll – warum es sich noch immer lohnt, für die Ehe einzutreten
Als Familienbund der Katholiken sind wir die Stimme der Familien. Wir machen uns stark für alle Familien – unabhängig von ihrer jeweiligen Ausprägung oder Form. Damit Familien gelingen können, setzen wir uns dafür ein, dass Familien gute Rahmenbedingungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft haben.
Aber auch innerhalb einer Familie müssen Voraussetzungen für gelingende Zwischenmenschlichkeit wie Zusammenhalt, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, gegenseitige Zuneigung und Verantwortung erfüllt sein. In der Regel gelingt das nur, wenn auch schon die Eltern diese Werte für sich als Paar ernst genommen haben. Nur so bildet die Paarbeziehung ein geeignete Grundlage für das spätere Zusammenleben mit Kindern.
Oder umgekehrt: Fehlen diese Werte, wird es schwer, sie in einer Familie zum Leuchten zu bringen.
Besondere Verbindlichkeit und Ernsthaftigkeit erhalten diese Grundsätze, wenn das Paar sie auch nach außen in Form einer Eheschließung beglaubigt. Mit einer Eheschließung bringt das Paar am deutlichsten zum Ausdruck, dass es zusammenbleiben und gegenseitig Verantwortung übernehmen möchte.
Deshalb haben Familien, die auf eine Ehe gründen, für uns einen besonderen gesellschaftlichen Stellenwert. Partnerschaft bleibt nicht allein Privatsache. Mit der Ehe öffnet sich das Paar auch der Gesellschaft und verpflichtet sich dazu, gesellschaftliche Regeln anzuerkennen.
Aber welche Eheform meinen wir, wenn wir von „Ehe“ sprechen? Denn die eine Ehe gibt es ja gar nicht. Wir unterscheiden zwischen Zivilehe, die im Standesamt geschlossen wird und dem Ehesakrament, das sich das Paar bei der kirchlichen Trauung gegenseitig spendet.
Aber gibt es die „richtige“ Ehe? Wenn ja. Welche Institution spendet die „richtige“ Ehe, der Staat, oder die Kirche?
2. Der Kulturkampf um die Ehe zwischen Staat und Kirche
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Kampf um die Hoheit der Eheschließung schon seit frühster Zeit bestand. Das Spannungsverhältnis zwischen Staat und Kirche ist nicht neu, es prägt das Verhältnis beider Institutionen seit Jahrtausenden.
Staat und Kirche hatten ihre je eigenen Regeln, die im Laufe der Zeit – von beiden Institutionen – stets weiterentwickelt und den zeitlichen Gegebenheiten angepasst wurden.
Bis ins frühe Mittelalter war die Trauung, die damals nur ausgewählten Personengruppen offenstand, eine weltliche Zeremonie mit regional bzw. lokal recht unterschiedlichen Regeln und Gebräuchen. Der Segen durch die Kirche war fakultativ, eher Sitte als Pflicht.
Mehr und mehr dehnte aber die Kirche ihren Einfluss aus und entwickelt bis zum frühen 13. Jahrhundert ein eigenes Eherecht. Im Jahr 1225 beschloss das Vierte Laterankonzil, dass Trauungen nur noch von einem Priester vorgenommen werden durften. Die Trauung fiel damit unter rein kirchliche Hoheit. Laientrauungen wurden verboten.
Erst unter Einfluss des französischen Rechts wurde die Zivilehe wieder begünstigt. Auf diesem Weg heirateten zunächst vor allem all jene Menschen, die keiner christlichen Konfessionen angehörten und denen deswegen die kirchliche Trauung verwehrt war.
Endgültig brach die Französische Revolution mit der Vormacht der Kirche. 1792 wurde die Ehe als Ziviltrauung zunächst in Frankreich festgeschrieben. Geistlichen wurde verboten, vor der zivilrechtlichen die kirchliche Trauung vorzunehmen.
Als Folge des Kulturkampfs begann auch der deutsche Staat die zuvor von Geistlichen vollzogene Eheschließung als staatliche Angelegenheit zu betrachten. Auf der Grundlage des 1876 erlassenen "Reichsgesetzes über die Beurkundung des Personenstandes und der Eheschließung" wurden in ganz Deutschland staatliche Standesämter eingeführt, in denen die Ehe unabhängig von einem Glaubensbekenntnis geschlossen wurde. Für die Beurkundung der Eheschließung war seitdem ein staatlich bestellter Standesbeamter verantwortlich. Eine kirchliche Eheschließung war seit 1877 erlaubt, allerdings erst nach der bürgerlich-rechtlichen Eheschließung.
Erst mit den Änderungen des Personenstandsrechts von 2009 wurden kirchliche Trauungen, ohne dass die Partner vorab standesamtlich geheiratet haben müssen, möglich. Die Deutsche Bischofskonferenz hält jedoch bis heute am „Verbot der religiösen Voraustrauung“ fest: Nur in Ausnahmefällen und nach Erlaubnis des Diözesanbischofs kann es eine kirchliche Trauung ohne vorherige standesamtliche Eheschließung geben.
So ergibt sich heute folgende Situation:
Nach staatlichem Recht hat nur eine vor dem Standesamt geschlossene Ehe grundsätzlich Rechtswirkungen.
Nach katholischem Kirchenrecht kommt eine wirksame Ehe unter Katholiken grundsätzlich erst mit der Ablegung des Eheversprechens vor einem Priester oder Diakon zustande.
Welches die „richtige“ Ehe ist, das kann – und muss – damit wohl jedes Paar für sich selbst beantworten.
3. Die Zivilehe – Rechts-, Wirtschafts- und Verantwortungsgemeinschaft, auf die nicht nur der Staat bauen kann
Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen genießt die Ehe einen hohen Stellenwert. Umfragen bestätigen, dass nicht nur Werte wie eine stabile Partnerschaft und ein gutes Familienleben als wichtig erachtet werden, sondern auch die große Mehrheit die Ehe als Institution für nicht überholt hält. Die Zahl der staatlichen Eheschließungen ist in den letzten Jahren sogar wieder etwas gestiegen. Worin liegt die Attraktivität der Zivilehe? Was sind die Motive für die Paare?
Auch wenn eine Hochzeit in den meisten Fällen auf Liebe gründet und von vielen Paaren als romantisches Ereignis verstanden wird, so erfüllt die standesamtliche Trauung doch auch das Bedürfnis nach Verlässlichkeit, Ordnung und Schutz. Denn im rechtlichen Sinne ist die standesamtliche Eheschließung lediglich ein privatrechtlicher Vertrag zwischen zwei Partnern.
In früheren Zeiten sicherte die Eheschließung das Überleben einer Familie durch Erbfolge, regelte Geburten und Kindererziehung und war eine Gemeinschaft, die lange vor der Geburt des Sozialstaates Ernährung und Unterstützung sicherte.
Noch heute regelt das Eherecht per Gesetz, dass Ehepartner füreinander einstehen und sich dem Partner gegenüber pflichtbewusst verhalten müssen.
Eine standesamtliche Heirat bringt dem Paar aber auch entscheidende steuerliche und sozialrechtliche Vorteile.
Das Ehegattensplitting trägt dem Grundsatz Rechnung, dass die Ehe eine Gemeinschaft des Erwerbs und des Verbrauchs ist, bei der die Partner das gemeinsame Miteinander teilen – unabhängig davon, wer wie viel dazu beigetragen hat. So sorgt es dafür, dass Ehepaare mit gleich hohem Einkommen auch gleich viel Steuern zahlen.
Deutlich ist der Vorteil für Ehepaare auch bei der gesetzlichen Rente. Stirbt ein Partner, erhält der andere Witwen- oder Witwerrente. War das Paar hingegen nicht verheiratet, bekommt der Partner nichts. Ähnlich sieht es bei Betriebsrenten aus. Stirbt der Beschäftigte, stehen nur dem Ehepartner Ansprüche zu.
Und auch bei Erbschaft und Schenkungen schneiden Ehepartner deutlich besser ab. Während der Lebensgefährte beim Versterben des Partners ohne entsprechendes Testament leer ausgeht, ist der Ehegatte automatisch gesetzlicher Erbe.
Warum räumt der Staat den Eheleuten diese Vorteile ein? Warum stellt der Staat die Ehe sogar unter den Schutz des Grundgesetzes? Die Antwort ist denkbar einfach:
Dem Staat ist durchaus bewusst, dass er durch die Stärkung der Ehe nicht nur die generative Frage positiv beeinflusst, sondern zugleich die Stabilität der familiären Beziehungen fördert. Und der Staat hat durchaus ein berechtigtes Interesse an stabilen Beziehungen. Denn er profitiert von der Stabilität, von gegenseitiger Unterstützung und der Verlässlichkeit der Ehe.
Trotz hoher Scheidungszahlen ist die Ehe die weitaus stabilste Form der Partnerschaft. Die Chance lebenslangen Zusammenlebens ist bei ihr – als einziger Lebensform – deutlich höher als die Wahrscheinlichkeit der Trennung.
Aus der Emotionalität und Sicherheit der Beziehung erwachsen Vorteile für die Gesundheit und die psychische und soziale Stabilität von Menschen. Finanzielle wechselseitige Absicherung und gegenseitige Unterstützung in Belastungssituationen, Schicksalsschlägen, Krankheit und Alter entlasten die größere Gemeinschaft von Hilfeleistungen.
In besonderer Weise entfaltet die Ehe auch ihre Wirkungen mit Blick auf Kinder. So werden Kinder weit überwiegend in der Ehe geboren und wachsen mit ihren verheirateten Eltern auf. Kinder profitieren von der gegenseitigen Unterstützung, die sich die Eltern bei der Erziehung geben. Die Ehe als stabilste Form der Partnerschaft schafft die günstigsten Voraussetzungen für die Entwicklung von Kindern. Deshalb könnte Politik selbst dann, wenn sie den Fokus ausschließlich auf die Eltern-Kind-Dimension richten wollte, von der Partnerbeziehung nicht absehen, da sie von wesentlicher Bedeutung für die Eltern-Kind-Beziehung ist. (*1)
Mit der Ehe wird die Elternschaft auf ein für den Staat planbares Fundament gesetzt: Mit der Ehe wird gegenüber dem Staat die verbindliche Absicht dokumentiert, dass Eltern als erste Ansprechpartner für die Kinder zur Verfügung stehen und der Staat nur subsidiär eingreifen muss – und nur dann –, wenn die Eltern es (aus welchen Gründen auch immer) allein nicht schaffen.
„Erst die Eltern, dann der Staat!“ Dieses Prinzip erspart dem Staat hohe Kosten: Ausgaben für Sozialleistungen, Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen und Leistung von Unterhaltsvorschüssen, Bildungs- und Erziehungshilfen, Gewaltprävention.
Deswegen sind der besondere Schutz und die besondere Förderung, die das Grundgesetz für die Ehe vorsieht, auch angemessen und notwendig. Auf das Versprechen der Solidarität, das in der Öffentlichkeit und vor der Gemeinschaft geleistet wird und rechtliche Wirkungen selbst noch über ein Scheitern der Beziehung hinaus entfaltet, können sich Staat und Gesellschaft anders verlassen, als auf Versprechen, die – wie bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften – im privaten Bereich verbleiben und letzter Verbindlichkeit ermangeln. (*2)
4. Die kirchliche Ehe
Im Gegensatz zur Zivilehe ist bei der kirchlichen Ehe nicht der staatliche Schutz und die staatliche Förderung ausschlaggebend. Während die Zivilehe vor allem den äußeren Rahmen einer Beziehung stärkt und Verbindlichkeit verleiht, bereichert die kirchliche Ehe das Paar vor allem von innen und gibt der Beziehung innere Orientierung.
Unter den vielen Aspekten, die die kirchliche Ehe charakterisieren, sind zwei aus meiner Sicht besonders bedeutsam: 1. Die kirchliche Ehe ist nicht denkbar ohne den Bezug zu Gottes unendlicher Liebe. 2. Die Eheleute sind bereit, die Kinder anzunehmen, die Gott ihnen schenkt.
4.1. Ehe im Lichte von Gottes unendlicher Liebe
Im katholischen Verständnis spenden sich die Ehepartner das Sakrament der Ehe und bringen damit zum Ausdruck, dass sie das Werden und Wachsen ihrer Beziehung nicht nur sich selbst und ihrem eigenen Bemühen verdanken, sondern dass sie sich von der liebenden Nähe Gottes getragen wissen, die sie auf ihrem Weg begleitet und stärkt.
Mit der kirchlichen Trauung legen die Ehepartner eine bestimmte Haltung an den Tag: Unsere Ehe ist getragen nicht allein von unserer Liebe, sondern von der Liebe Gottes, die unendlich ist.
Sie spüren: Gottes Liebe ist der eigentliche Grund, auf den sie bauen können, nicht das Gefühl der eigenen Liebe.
Menschen, die an Gott glauben, wissen um die Bereicherungen, die ein Leben im Vertrauen auf Gott bereithält. Sie erfahren ihr Leben in einem ganz anderen Sinn als wertvoll – weit über die materiellen Absicherungen eines Sozialstaates hinaus. Gläubige Menschen spüren und erleben sich von Gott bedingungslos als Mensch angenommen.
In der Liebe zueinander, im täglichen Versuch, einander zu lieben, „wenden die Eheleute die christliche Botschaft und Grundhaltung, dass das Leben gerade im Vertrauen auf die bedingungslose und unerschöpfliche Liebe Gottes gelingt, ganz konkret auf einen Lebensbereich an: auf ihr Leben als Paar.“ (*3)
„Wenn ein Paar mit dieser Haltung sich in der Kirche zueinander bekennt und sich so traut, dann spricht die katholische Kirche von einem heilbringenden Zeichen. Von einem Zeichen, in dem sichtbar wird, wie Gott sich uns, den Menschen, zuwendet. Ein solches Zeichen heißt in der katholischen Kirche „Sakrament”. Im Sakrament, im Zeichen der Ehe, wird sichtbar: So wie Partner sich immer wieder umwerben und sich lieben, so umwirbt Gott uns, so liebt Gott die Menschen.“ (*4)
„Ehe ist daher ein Sakrament des Alltags, ein Sakrament, das nicht nur in der feierlichen Trauung am Altar, sondern in der alltäglichen Treue und Liebe zueinander vollzogen wird.“ (*5)
Auch bei katholischen Ehepaaren gibt es keine Garantie für eine lebenslang geglückte Ehe. Aber Menschen, die an Gott glauben, wissen, dass ihre eigene menschliche Liebe zwar immer wieder an Grenzen stoßen wird, sie aber immer wieder neu aus Gottes unerschöpflicher Liebe schöpfen können und so die Kraft finden, immer wieder neu „Ja” zum Partner, zur Partnerin sagen können. Dieses sich immer wieder erneuernde Bekenntnis macht – wenn auch nicht ausgesprochen, so doch stets gegenwärtig – die Liebe in einer kirchlichen Ehe zu einer unzerstörbaren. Weil die Liebe Gottes nie versiegt, erfährt auch unsere Liebe zueinander etwas Unvergängliches.
„Auf Gott können die Ehepartner in allen Höhen und Tiefen vertrauen. Er hilft zur Umkehr, zur Vergebung, zum Neuanfang. Seine Liebe bleibt – selbst dann, wenn die Partner ihr Versprechen nicht halten. Seine Liebe geht auch in ihrem Scheitern nicht verloren.“ (*6) Und selbst wenn die Ehe zerbricht, so war sie doch Realität und bleibt die Zeit der Ehe ein unwiderruflicher Teil der Lebensgeschichte der jeweiligen Menschen.
Eine nach christlich-katholischem Verständnis sakramentale Ehe bietet somit aus einer bewussten Glaubensentscheidung heraus eine Verheißungsperspektive von mehr an erfülltem Leben – nicht nur im Gelingen, sondern auch in der Krise und selbst im Angesicht des Scheiterns einer Beziehung.
4.2. Kinder annehmen, die Gott uns schenkt
Die Liebe zwischen Mann und Frau ist eine besondere. Durch ihre Liebe, die sich auch in ihrem körperlichen Einssein und der gegenseitigen Befruchtung ausdrückt, können Kinder gezeugt – nicht erzeugt – werden.
„Wichtiger Bestandteil der ehelichen Liebe und ihrer Fruchtbarkeit ist daher die Bereitschaft, Kindern das Leben schenken und sie christlich erziehen zu wollen. Dieser Aspekt gehört wesentlich zum christlichen Verständnis der Ehe hinzu. In der Weitergabe des Lebens erweist die eheliche Liebe die ihr eigene Fruchtbarkeit, außerdem öffnen sich die Eheleute auf die Zukunft hin und werden zu Mitarbeitern am Schöpfungswerk Gottes.“ (*7)
Sehr hilfreich ist es in diesem Zusammenhang, wenn man sich die Formulierung im Hochzeitversprechen genauer anschaut. Dort heißt es: „Wir sind bereit, die Kinder anzunehmen, die Gott uns schenken will.“
Die Eheleute sprechen sich für eine grundsätzliche Annahme des Lebens aus. Sie erklären sich bereit, die Kinder, die Gott ihnen schenken will, um ihrer selbst willen anzunehmen. Sie empfinden die Kinder quasi als „Geschenk des Himmels“, immer auch im Bewusstsein, dass Gott ihr Kind schon vorher angenommen und von Ewigkeit her geliebt hat.
Im Zusammenhang einer verantwortungsvollen Elternschaft sollte ein weiterer Aspekt nicht unerwähnt bleiben. „Willkür der Ehepartner kommt nicht nur da zum Ausdruck, wo Kinder grundsätzlich abgelehnt, verhütet oder abgetrieben werden, sondern auch da, wo die moderne Medizin dazu benutzt wird, ‚Wunschkinder’ zu schaffen, ohne den Zusammenhang von liebender Vereinigung und Zeugung zu berücksichtigen.“ (*8)
5. Herausforderungen für den Familienbund
Wenn wir als Familienbund – wie eingangs gesagt – die positiven Wirkungen der Ehe stärken und festigen wollen, dann meinen wir immer beide Eheformen, die zivile und die kirchliche.
Wir sehen unsere Aufgabe sowohl darin, als katholischer Akteur in Staat und Gesellschaft die Zivilehe zu sichern, aber auch als politischer Akteur in der Kirche das Ehesakrament zu beleben.
5.1. Herausforderungen für die Stärkung der Zivilehe
„Arbeitgeber und Gewerkschaften, Regierungen und Parlamente sowie Verwaltung und Rechtsprechung dokumentieren durch die Art und Weise, wie sie die Rahmenbedingungen für unser Zusammenleben gestalten und beeinflussen, ihre Einschätzung der Bedeutung von Ehe und Familie. Bei entsprechender Orientierung können sie sehr zur Anerkennung dieser Grundlagen menschlichen Zusammenlebens beitragen.“ (*9)
„Unsere Gesellschaft muss – will sie ihre Standards nicht verlieren – in ein ernsthaftes Gespräch kommen, welche Kultur von Beziehung dem Gelingen des Lebens und der Qualität des Zusammenlebens angemessen ist und sich als tragfähig über den Augenblick hinaus erweist. Ehepaare sind keine Randgruppe. Das Ignorieren der Ehe im politischen Raum muss aufhören. [Die politischen Akteure] sind aufgefordert, deutlich zu machen, was sie von der Ehe halten und welchen Stellenwert sie ihr einräumen.“ (*10)
„Häufig wird in letzter Zeit von einer Entkoppelung von Ehe und Familie, von Partnerschaft und Elternschaft gesprochen. Auch wenn sich Ehe nicht notwendig zur Familie erweitert und nicht jede Familie auf Ehe gegründet ist, so zeigt sich de facto doch ein starker Zusammenhang von Ehe und Familie. Die Zahl der kinderlosen Ehen nimmt seit Jahrzehnten nicht zu. Die Kinderlosigkeit ist ein Phänomen das im Wesentlichen außerhalb der verheirateten Bevölkerung auftritt. Eine Gesellschaft, die Familien und Kinder haben will, tut gut daran, [sich auch] der Bedeutung, die Ehe für die Familie hat [bewusst zu sein. Damit] soll keine Diskriminierung von nicht ehelichen Familienformen verbunden sein; vielmehr ist die Sorge für Kinder und ihre Erziehung gerecht anzuerkennen, wo immer sie erbracht werden. Die gegenseitige Unterstützung bei der Erziehung stärkt und entlastet die Eltern, die Erfahrung von Mutter und Vater als Bezugspersonen ist für eine optimale Entwicklung und Identitätsbildung des Kindes von größter Bedeutung. Deshalb ist die Förderung stabiler Partnerschaft ein wesentliches Element der Sorge für Kinder und Jugendliche. Ob der – meist vorhandene – Kinderwunsch realisiert wird, ist entscheidend abhängig vom Zutrauen in die Verlässlichkeit der Partnerschaft. Deshalb kann eine bevölkerungsorientierte und nachhaltige Familienpolitik die Ehe [auch] wegen ihrer demographischen Bedeutung nicht unberücksichtigt lassen.“ (*11)
Konkret fordern wir:
Leistungen innerhalb einer Ehe, welche die Gesellschaft entlasten, sind stärker anzuerkennen.
Das Ehegattensplitting in seiner Grundintention als gerechter Ausgleich für verheiratete Paare ist beizubehalten.
Die Gestaltung der Erwerbsarbeit muss nicht nur eine partnerschaftliche Teilhabe der Eltern an der Erwerbsarbeit und an der Erziehung ihrer Kinder ermöglichen, sondern vor allem ausreichend Zeit für die Familie ermöglichen.
Es muss gesellschaftlicher Konsens bleiben, dass Kinder ein „Geschenk des Himmels“ sind. Die Gesetzgebung muss – trotz aller medizinischen Möglichkeiten (insbesondere in der Reproduktionsmedizin) – verhindern, dass Kinder „gemacht“ werden.
5.2. Herausforderungen für die Stärkung des Ehesakraments
Noch vor wenigen Jahren lagen zwischen der standesamtlichen Hochzeit und der kirchlichen Trauung wenige Tage, oft nur einige Stunden. Heute hat sich das entscheidend geändert, die zivile Eheschließung und die kirchliche Trauung werden nicht mehr gleichsam automatisch zusammen gefeiert.
Die Zahl der katholischen Trauungen ging seit 1990 stark zurück: Sie sank von über 110.000 Ende der 1980er Jahre auf 43.610 im Jahr 2016. Im Jahr 2015 gab es 400.000 staatliche Eheschließungen, aber nur 44.300 katholische und 45.500 evangelische Trauungen. 310.200 Paare – also rund 78 Prozent – vollzogen ihre Trauung somit allein auf dem Standesamt.
Immer weniger Paare entscheiden sich bewusst für eine kirchliche Hochzeit. Vielen Paaren reicht es aber nicht aus, einfach nur im Standesamt die Formalitäten zu erledigen und sich die Trauscheine abzuholen. Sie wollen das Ritual der Trauung zelebrieren und auch die spirituelle Wirkung spüren.
In diese Lücke ist heute eine neue Form der Trauung getreten, die es vor ein paar Jahren so noch gar nicht gab, die sich aber immer größerer Beliebtheit erfreut: Die sogenannte „freie Trauung“. „Freien Theologen“ bieten neben einer romantischen Feier auch den spirituellen Rahmen und würdigen die Werte, die die Partner einander entgegenbringen: Liebe, Verlässlichkeit, Fürsorge und Hingabe.
Von Seiten der Kirche gibt es aber nur ein Angebot: Entweder man erfüllt die hohen Anforderungen, die für das Ehesakrament gelten, oder eben nicht. Ein offizielles liturgisches Angebot, das die liebende Beziehung zwischen zwei Menschen wertschätzend beglaubigt, fehlt heute.
Auch in der Kirche sollte deshalb eine Reflexion darüber beginnen, welche Werte die Zukunft unseres Gemeinwesens bestimmen sollen, wie diese an die Menschen herangetragen werden, wie Einzelne für eine Bindung an solche Werte gewonnen werden können – und welche Rolle dabei die Kirche einnehmen kann und will. Es wäre also die Aufgabe, vor allem die Aufgabe der Bischöfe, nach neuen, ehrlichen und zugleich verbindlichen Wegen zu suchen, die die Paare vor Ort stärken und entlasten.
Auch die Kirche wäre gefordert, neue Verantwortungsgemeinschaften in den Blick zu nehmen. „Das entspricht unserem christlichen Verständnis und ist auch eine Antwort in einer Gesellschaft zunehmender Individualisierung. Wir müssen intensiv darüber nachdenken, wie die verbindliche wechselseitige Verantwortungsübernahme in unserer Gesellschaft – auch jenseits einer bestimmten sexuellen Orientierung – unterstützt werden kann. Das ist für die Zukunftssicherung unserer Gesellschaft notwendig. Eine Stärkung von verbindlichen Verantwortungsgemeinschaften ist unerlässlich. (*12) Denn überall dort, wo auf Treue gegründete Freundschaft, füreinander Eintreten und Verantwortlichkeit der Menschen gelebt werden, ist das moralisch achtenswert – unter welchem Vorzeichen der sexuellen Orientierung dies auch immer geschieht.
Das heißt nicht, Überzeugungen aufzugeben, sondern Möglichkeiten zu schaffen, wie Menschen die Überzeugungen der Kirche wieder erreichen können. Es geht nicht darum, die Ehe als Sakrament aufzugeben, sondern darum, mögliche Wege hin zum Sakrament aufzuzeigen und zusätzliche Angebote zu machen. Die Möglichkeit eines Brückenschlags zwischen der Lehre der Kirche und der heutigen Lebenswelt der Menschen könnte in einer Segensfeier Ausdruck finden.
Mit dem Angebot einer Segensfeier für alle Paare, die ihre Partnerschaft unter den Segen Gottes stellen wollen, könnte die Kirche eine neue Sogwirkung erzielen. Kirche könnte für junge Paare wieder als die Institution wahrgenommen werden, die sich um die Menschen und ihre Beziehung zueinander kümmert, die liebende Beziehungen fördert. Kirche wäre damit nicht nur der Ort, wo Liebe gelehrt und gefordert wird, sondern der Ort, wo die Liebe gewürdigt würde.
Die Segensfeier sollte ein Zeichen dafür sein, dass liebende Beziehungen von Gott gewollt sind. Mit dem Segen wird ausgedrückt: "Eure Beziehung ist gewollt, denn sie spendet Leben, weil sie einem anderen Menschen sagt, dass er lebenswert ist. Ihr seid bejaht. Ihr seid angenommen. Ihr seid geliebt." Eine Ja-Kraft, die dem Menschen in seiner Seele gut tut und den Partnern Hoffnung machen, dass ihre Liebe bis in die Ewigkeit hineinreicht.
Gesegnet werden sollten Menschen ohne Ansehen der Person. Ich begrüße es außerordentlich, dass die Amtskirche nicht starr an ihrer ablehnenden Haltung gegenüber einer Segnung auch von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften festhält.
Ich begrüße es außerordentlich, dass sich auch die Amtskirche Gedanken macht, „wie das Positive, Gute und Richtige in der Beziehung zwischen zwei gleichgeschlechtlichen Menschen gestärkt werden kann“ und man zusehends merkt, „dass schweigen und tabuisieren nicht weiterführt“. (*13)
„Es geht nicht darum, Maßstäbe von richtig und falsch grundsätzlich außer Kraft zu setzen. Es ist aber mehr als an der Zeit, jungen Menschen, die als Paar vor und auch außerhalb einer Ehe wertschätzend und in Liebe zusammenleben, nicht zuzuschreiben, sie lebten in Sünde. Das Gleiche gilt für Paare in einer zivilen Zweitehe nach einer Scheidung und für homosexuelle Lebenspartnerschaften.“ (*14)
Gibt es einen Grund, diese Paare nicht zu segnen? Hätten nicht auch sie wertschätzende Worte verdient? – „Ihr seid als Menschen bedingungslos geliebt und Eure Beziehungsfähigkeit soll zum Segen werden für andere.“
Ich sehe nicht die Gefahr, dass mit der Einführung von Segensfeiern kirchlich legitimierte Modelle nebeneinander stehen, die am Ende Verwirrung und Beliebigkeit fördern. Ich sehe auch nicht die Gefahr, dass viele Paare nach einer solchen kirchlichen Segensfeier nicht mehr den Schritt zum Ehesakrament gehen würden. Ich sehe vielmehr die Chance, dass eine solche Segensfeier überhaupt den Weg zum Ehesakrament bereiten kann.
Drei Wünsche dürften aus meiner Sicht auf Erfüllung hoffen:
- Gefragt, wer sich für Familien einsetzt, antwortet jeder als erstes spontan „Die Kirche!“
- Kirche ist der Ort, wo tiefe und echte Beziehung möglich ist, wertgeschätzt und gefördert wird.
- Kirche wird als einladende Gemeinschaft wahrgenommen, nicht als ausschließende Institution.
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*1 http://verbaende.erzbistum-koeln.de/familienbund-koeln/ehe-familie/index.html;
*2 http://verbaende.erzbistum-koeln.de/familienbund-koeln/ehe-familie/index.html
*3 https://www.ehebriefe.de/das-ehesakrament/das-ehesakrament.html
*4 https://www.ehebriefe.de/das-ehesakrament/das-ehesakrament.html
*5 Anselm Grün: Die Trauung, S. 32.
*6 Deutsche Bischofskonferenz: Trauen Sie sich! Zehn gute Gründe für die Ehe.
*7 Graulich, Markus; Weinmann, Ralph: Im Glauben das „Ja“ wagen. Auf dem Weg zur Ehe“, Freiburg i.Br., 2015, S. 71f
*8 Graulich, Markus; Weinmann, Ralph: Im Glauben das „Ja“ wagen. Auf dem Weg zur Ehe“, Freiburg i.Br., 2015, S. 77f.
*9 verbaende.erzbistum-koeln.de/familienbund-koeln/ehe-familie/wert-ehe-familie.html
*10 verbaende.erzbistum-koeln.de/familienbund-koeln/ehe-familie/index.html
*11 verbaende.erzbistum-koeln.de/familienbund-koeln/ehe-familie/index.html
*12 verbaende.erzbistum-koeln.de/familienbund-koeln/ehe-familie/ehegattensplitting/
*13 vgl. Interview mit Bischof Bode in der NOZ vom 10.1.18: www.noz.de/artikel/1003386
*14 Birgit Mock: „Was Leben gelingen lässt. Familienbildung und -pastoral an der Seite der Menschen“, Rede beim Jubiläum der Arbeitsgemeinschaft für katholische Familienbildung (AKF) am 25. November 2015 in Würzburg.