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DABEI IST WER MITMACHT!
Familie braucht echte Entlastung
FDK-Geschäftsführer Manfred Köhler im Interview
Mit Beginn des Jahres 2020 ist die Welt eine andere geworden. Wie hat Corona das Leben Ihrer eigenen Familie und von Familien im Allgemeinen in den letzten eineinhalb Jahren verändert?
Homeschooling, Homeoffice, Sorge um das Familieneinkommen oder den Arbeitsplatz, erhöhter Medienkonsum der Kinder, eingeschränkte Bewegungs- und Freizeitmöglichkeiten. All das hat für ein erhöhtes Stress-Level im Familienalltag gesorgt. Ich sehe das in meiner eigenen Familie: eine Tochter in der 6. Klasse Realschule im Homeschooling, ein junger Erwachsener mit 18 Jahren kurz vor dem Abi, nahezu ohne Präsenzunterricht und mit massiven Unterrichtsausfällen.
Trotz eigentlich guter Rahmenbedingungen gibt es ein hohes Konfliktpotential auf engstem Raum. Nicht auszudenken, wie es anderen Familien da geht – in Städten auf engstem Raum, zeitweise ohne die Möglichkeit zur Auszeit draußen, ohne die notwendige technische Ausstattung, ohne weitere soziale Kontakte, ohne Freiräume. Das höre ich immer wieder von Familien, die in der Vergangenheit an den Bildungs-Angeboten des FDK teilgenommen haben.
Was ich auch beobachte: Gerade bei Alleinerziehenden oder Familien in besonderen Konstellationen – also etwa Beschäftigung im Niedriglohnsektor, Eltern in systemrelevanten Berufen, Familien in beengten Wohnverhältnissen oder mit Migrationshintergrund – hat Corona besonders eingeschlagen. Hier gilt es endlich das veränderte Familienbild zu realisieren. Familie ist deutlich vielfältiger als das, was Politik gerade sehen möchte. Alleine in Bayern leben 195.000 Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern. Hinzu kommen Patchwork-Familien, Kinder im Wechselmodell
oder Lebenspartnerschaften mit Kind.
Die Pandemie ist also eine Art Brandbeschleuniger?
Die Coronakrise deckt das auf, was bereits lange im Untergrund brodelt. Fehlende Chancengleichheit bei Bildung und Teilhabe, Kinder- und Altersarmut, Leistungsdruck, zerrüttete Verhältnisse. All das ist nicht wirklich neu. Aber diese Schiefl agen werden durch die Pandemie vermehrt aufgedeckt, verstärkt und treten jetzt auch in Familien auf, die das bisher nicht erlebt haben. Im Grunde gilt: Vor der Pandemie ist nach der Pandemie. Am Handlungsbedarf hat sich nichts geändert. Familien brauchen Entlastung, verlässliche Rahmenbedingungen, Chancengleichheit und Teilhabe. Da gab es schon vor Corona viel zu tun, danach
noch mehr. Vor allem aber braucht es aktives Handeln statt bloßer Lippenbekenntnisse.
Ganz untätig war die Politik ja nicht. So wurde etwa die Zahl der Kinderkrankheitstage für das Jahr 2021 erhöht. Halten Sie das für zielführend?
Es ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Das Problem ist aber: Nicht in allen Familien können beide Elternteile jeweils 20 Tage in Anspruch nehmen. Sei es, weil sie in systemrelevanten Berufen arbeiten, sei es, weil betriebliche oder persönliche Gründe dagegensprechen. Zudem wird nicht jeder Arbeitgeber diese Betreuungsmöglichkeit schätzen. Dafür habe ich durchaus Verständnis. Die vierzig Arbeitstage müssen zwar nicht vom Arbeitgeber vergütet werden, aber die Arbeitsleistung fehlt ja. Zudem ist nach meiner Ansicht der Ausgleich des Verdienstausfalls bei notwendiger Betreuung nur unzureichend geregelt. Die „Die Coronakrise deckt das auf, was lange bereits im Untergrund brodelt“, ist Manfred Köhler überzeugt. Der Geschäftsführer des Familienbunds der Katholiken (FDK) und dreifache Familienvater kennt die oft schwierigen Lebensumstände von Familien
heute sehr genau – und leitet daraus ganz konkrete Forderungen an die Politik ab. Höhe beläuft sich auf 67 Prozent des Nettogehalts und ist auf 2.016 Euro gedeckelt, ohne Berücksichtigung der Kinderzahl. Das halte ich für zu gering. Familien müssen ja die laufenden Kosten weiterbezahlen. Hier sind Alternativen gefragt. Zum Beispiel eine Teilzeit bei
vollem Lohnausgleich. Zu kurz greift auch die Altersbegrenzung der Betreuungsmöglichkeit zu Hause. Nicht alle Jugendlichen gehen strukturiert, engagiert und hochmotiviert ans Werk.Auch sie brauchen Unterstützung, Zuspruch, Halt, Strukturen und Ansprache.
Und wie sieht es mit dem Kinderbonus der Bundesregierung in Höhe von 150 Euro aus?
Laut BMFS ist der Kinderbonus „ein wichtiges familienpolitisches Signal“ und „setzt einen Konjunkturimpuls“. Ich kann das nur bestätigen. Mehr als ein Signal ist es tatsächlich nicht. Für die meisten Familien sind 150 Euro ein Tropfen auf den heißen Stein, eine nette, aber wirkungslose Wasserspritzpistole. Wo bleibt der Kanonenschlag? Hinzu kommt: Der Kinderbonus wurde nach dem Gießkannenprinzip verteilt. Jeder bis zu einem Bruttojahreseinkommen von 105.000 Euro hat etwas abbekommen. Die unteren Einkommen wurden wieder mal mit den höheren Einkommen gleichgestellt. Sollte man nicht eher vor allem die unteren Einkommen entlasten? Auch ich selbst habe mich schon gefragt, wofür ich diesen Bonus eigentlich bekomme. Ich habe weder Einkommensverluste noch ein niedriges Einkommen. Was die Höhe des Bonus betrifft: Da stelle ich mir schon die Frage, wann diejenigen, die die 150 Euro zur Beschaffung von Equipment für das Homeschooling ausgelobt haben, das letzte Mal in einem Elektronikfachmarkt waren. Der Betrag reicht gerade mal für den Drucker, die Patronen und einen DSL-Anschluss. „Finanzieller Handlungsspielraum“ – wie es beim Familienministerium heißt – sieht anders aus.
Das bedeutet in der Summe: Familien werden von der Politik nicht wirklich wahrgenommen?
Korrekt, so ist das leider. Fleisch-, Auto-, und Wirtschaftslobbyisten geben sich in Kanzleramt und Bundestag die Klinke in die Hand.
Familien aber haben in unserer Gesellschaft keine Lobby. Und wenn, dann wird diese nicht oder kaum wahrgenommen. Umso schwerer wiegt das, weil Familien in ihrer ohnehin schon angespannten Situation nicht auch noch die Kraft und Energie haben, sich bemerkbar zu machen und für ihre Forderungen einzutreten.
Wie ließe sich das ändern?
Politik muss den Blick weiten und alle Lebenswirklichkeiten von Familien erfassen. Sie muss Familien hören und Strukturen zum Dialog bereitstellen. Das ist Voraussetzung für eine angemessene Familienpolitik. Ich würde hier mir einen regelmäßigen Familiengipfel mit Experten, also Kinder-, Jugend-, Eltern- Familien- und Sozialverbänden, wünschen. Nur so können wir die Realität von Familien wirklich abbilden und davon ausgehend echte Lösungsansätze erarbeiten.
Ändern ließe sich die miserable Wahrnehmung von Familien auch durch die Einführung eines Familienwahlrechtes. Rund 13,7 Millionen Bundesbürger haben aktuell keine politische Stimme, weil sie aufgrund ihres Alters nicht wählen dürfen. Mit einem Familienwahlrecht, das die minderjährigen Kinder mit einbezieht, würde die Politik Familienfragen sehr viel ernster nehmen. Der Familienbund engagiert
sich übrigens seit Jahren für ein „Wahlrecht ab Geburt“. Wirklich Fortschritte sehe ich da aber nicht ... Derzeit bekommt die Politik ja
nicht einmal die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre zustande.
Welche konkreten Forderungen stellen Sie an die Politik, damit Familien besser unterstützt werden?
Vorab: Die politischen Verantwortungsträger waren sicher nicht untätig. Aber viele Maßnahmen und Entscheidungen wirken auf mich halbherzig. Vieles bleibt Stückwerk. Angela Merkel hat in einem digitalen Bürgerdialog im Februar 2021 die Familie als „Kern unserer Gesellschaft“ bezeichnet und ihnen „unglaubliche Hochachtung“ gezollt. Dass die Leistung von Familien zumindest wahrgenommen wird, ist natürlich schön. Aber nur Beifall klatschen reicht nicht. Was Familien wirklich brauchen, ist echte finanzielle und strukturelle Entlastung.
Also: Lohnausgleich bei Betreuungsbedarf, Kurzarbeitergeld und Unterstützungsleistungen mit Kinderkomponente – je nach Einkommen bis zu 100 Prozent. Und: Familien brauchen Zeit und Rückhalt, um im sozialen Gefüge zur Ruhe zu kommen und die Sicherheit zurückzugewinnen, nicht vergessen worden zu sein.
Last but not least frage ich mich, wer die Kosten der Pandemie am Ende zahlt. Ich fürchte, dass unsere Kinder diese Last tragen müssen. Ein Ansatz wäre aus meiner Sicht die Einführung einer „Reichensteuer“. Dass dieser Vorschlag nicht aus der Luft gegriffen ist, zeigt die Initiative „taxmenow“ von 36 MillionärInnen aus Deutschland und Österreich. In ihrem Schreiben an die Politik setzen sie sich für eine höhere Besteuerung von Vermögen ein, „um mehr Chancen, Teilhabe und Zukunftsinvestitionen für alle zu ermöglichen“.
Was erwarten Sie vom Staat in puncto Schule? Gerade das andauernde Homeschooling hat ja zu großen Problemen geführt.
Ich bin selbst Klassenelternsprecher einer 6. Klasse und habe während des Homeschoolings unterschiedlichste Rückmeldung bekommen. Sehr häufi g war zu hören: „Wir kommen zurecht“, was ich als „wir halten durch und machen das Beste daraus“ interpretiere. In der Pandemie hat sich der Bildungs-Begriff noch stärker als bisher auf die Wissensvermittlung verengt. Soziale Bildung und das Erleben von Gemeinschaft sind auf der Prioritätenliste weit nach hinten gerutscht. Dass ein Teil der Sommerferien
für Aufholkurse geopfert wurde, ist für mich ein Unding. Ferien müssen Auszeiten für Familien bleiben, gerade jetzt. Statt die Ferien
zu kürzen, sollte man die Bildungsziele den Lernrealitäten anpassen. Wir brauchen Kompetenzteams nach Fächern und Fachschaften, die die Unterrichtsinhalte entrümpeln und sie pädagogisch, methodisch und technisch so aufbereiten, dass sie für LehrerInnen und SchülerInnen anwendbar und attraktiv sind. Außerdem müssen wir die Prozesse zur Bereitstellung der technischen Mittel weiter entbürokratisieren, um im Fall erneuter Schulschließungen Bildungs- Teilhabe für alle zu gewährleisten.
Welche Rolle hat hier der Familienbund? Wie setzen Sie sich als Vertreter und Unterstützer von Familien ein?
Wir hören, was Familien brauchen, erfassen deren Bedürfnisse und entwickeln daraus Angebote, damit Familie gelingen kann. Natürlich haben auch wir Teile unseres Angebots digitalisiert, um Familien zum Beispiel in Fragen der wertschätzenden Erziehung oder der Paarkommunikation zu unterstützen. Aber das digitale Angebot hat seine Grenzen, viele Familien sind der digitalen Welt überdrüssig. Familien brauchen Begegnung, Austausch und Entlastung! Daher arbeiten wir weiter an unseren Familienwochenenden, die kostengünstig Impulse, Entlastung, Versorgung und Familien(er)leben bieten. Leider geschieht das unter erschwerten Rahmenbedingungen, denn die bevorstehende Schließung der Tagungshäuser im Bistum macht es nicht gerade einfacher.
Unser zweiter großer Auftrag ist es, Familien eine Stimme in Politik und Gesellschaft zu geben. Wir setzen familienpolitische Akzente, stärken Familien und verschaffen ihnen Gehör. Familien mit Kindern mit Behinderung scheinen in der Pandemie völlig aus dem Blick geraten zu sein. Umso mehr ist „www.intakt.info“ eine wichtige Anlaufstelle für Familien mit Kindern mit Behinderung.
2021 jährt sich übrigens auch das Pflegeversicherungsurteil des Bundesverfassungsgerichts zum zwanzigsten Mal. Wir fordern seit Jahren, Familien in den Sozialversicherungssystemen zu entlasten, da sie durch die Erziehung der Kinder sowohl einen monetären als auch einen generativen Beitrag zum Sozialversicherungssystem leisten. Die Politik sitzt dieses Urteil beharrlich aus. Familiengerechtigkeit sieht anders aus! Deshalb wird sich der Familienbund auch in Zukunft gemäß seinem Slogan „streitbar
und kompetent für Familien“ für Familiengerechtigkeit einsetzen.
Interview: Anja Legge
Familienbund der Katholiken
in der Diözese Würzburg
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